Die Präzession und das Wassermannzeitalter II

Das Wassermannzeitalter

Irgendein unseeliger Mensch hat, vermutlich, weil er nicht nachdenken konnte, oder es nicht wollte, oder aus böser Absicht, die astrologische Zeitalterlehre ,entdeckt’. Deswegen leben wir jetzt im beginnenden Wassermannzeitalter - heißt es. Um die Problematik mit der ihr gebührenden Ausführlichkeit zu behandeln, seien zunächst die Auffassungen dreier Verfechter der astrologischen Zeitalterlehre, die stellvertretend für viele andere gelten können, besprochen. Es handelt sich dabei um die Ausführungen der Autoren BODO STEIN, ARTHUR SCHULT und PETER NIEHENKE. Alle drei unterscheiden sich nicht nur in der Interpretation der gegenwärtigen Lage des Frühlingspunktes voneinander, sondern auch in der Bestimmung dieser Position. Für NIEHENKE stellt sich die Frage nach einer möglichen Interpretation nicht, ohne dem Wassermannzeitalter das Wort zu reden, wie ihm von WIECHOCZEK unterstellt wird 1 , stellt er fest, der Frühlingspunkt befände sich im Tierkreisbild Wassermann. 2 ARTHUR SCHULT ist der gleichen Auffassung, nach ihm hat das Wassermannzeitalter 1950 begonnen, 3 hingegen vertritt BODO STEIN die Meinung, der Frühlingspunkt befinde sich auf zwei Grad Fische und wandere etwa im Jahre 2154 in den Wassermann. 4

Aus dieser einfachen Zusammenstellung geht nicht hervor, welche z.T. ungeheuer aufwendigen Plausibilisierungsversuche unternommen worden sind, um die vertretene Meinung zu stützen. Am ehesten ist noch NIEHENKE nachvollziehbar, er verschont seine Leser mit historischen Ausdeutungen und beschränkt sich auf den Hinweis, die Sternbilder seien auf der Ekliptik nicht klar voneinander trennbar (s. o.). WIECHOCZEK kritisiert nun NIEHENKES Aussage bezüglich der Lage des Frühlingspunktes im Wassermann. Dabei ist ihm durchaus bewußt, daß die Frage nach den Sternbildergrenzen lediglich eine Frage der Auslegung, eine Frage individueller Auffassung ist: „Als Sternbilder sind die Himmelsfiguren der menschlichen Phantasie entsprungen...“ 5 An anderer Stelle führt er aus, daß die nun bestehende Einteilung des Fixsternhimmels in 88 Sternbilder auf den Beschluß der Astronomischen Union im Jahre 1925 gründet. Bis dahin seien die Sternbilder regional verschieden oder auch mehrdeutig betrachtet worden. 6 Dann vergißt er das wieder und benutzt subjektive Auffassungen als Argumente in der Diskussion: „Die symbolischen Kraftfelder [Anm.: Sternzeichen] haben keinerlei Verbindung zu den wissenschaftlichen Sternbildern und sind durch kein nachprüfbares Verfahren zu beweisen“ 7 oder: „Ein Blick in einen beliebigen Himmelsatlas könnte den Astrologen überzeugen, daß der Frühlingspunkt sich noch 600 (!) weitere Jahre in den Fischen aufhält.“ 8

Nicht jeder beliebige, Herr WIECHOCZEK! Die Sternkarten, die Sie zur Veranschaulichung bringen, entbehren der Angabe des Äquinoktiums. Außerdem, wenn Sie doch wissen, daß die Sternbilder 9 der menschlichen Phantasie entsprungen sind, dann müßten Sie auch wissen, daß sie sich ebenso wenig beweisen lassen wie die Sternzeichen.

Am Rande sei hier angemerkt, daß der Beschluß der Astronomischen Union in verschiedenen Werken unterschiedlich datiert wird, viele geben 1925 an, einige aber 1928. 10 Was aber auch wann in den zwanziger Jahren passiert sein mag, es ändert nichts daran, daß man sich auch von der von der Astronomie vorgeschlagenen Einteilung freimachen darf. Warum man das allerdings sollte, ist wieder eine ganz andere Frage. BODO STEIN und ARTHUR SCHULT versuchen sie zu beantworten, indem sie historische Zeitabschnitte so deuten, daß sie mit einer astrologischen Symbolik, die sich dann in einem astronomischen Geschehen wiederfinden läßt, in Einklang zu bringen sind.

Die Geschichte der Menschheit wird in verschiedene Epochen eingeteilt. Weitere Einteilungen dieser Epochen in Zeitabschnitte mit unterschiedlicher Charakteristik sind gebräuchlich und zur historischen Orientierung sinnvoll. Es ist natürlich naheliegend, daß sich auch die Astrologen den Vorgängen in der Entwicklung des Menschen widmen und versuchen, die einzelnen Phasen der Geschichte in Übereinstimmung mit Phasen im astronomischen Geschehen zu bringen. Tatsächlich ist es durchaus möglich, die jüngere Menschheitsgeschichte in 2000-Jahresabschnitte einzuteilen, also etwa die ägyptisch-babylonische, die griechisch-römische und die christlich-abendländische 11 Kultur. Dies ist aber nur ein möglicher Ansatz unter vielen anderen, doch zufällig deckt sich die Bewegung des Frühlingspunktes durch die Tierkreisbilder zeitlich ungefähr mit diesen Abschnitten menschlicher Kulturgeschichte. Was liegt also näher, als darin einen irgendwie gearteten Zusammenhang zu sehen? Dieser Zusammenhang muß ja nicht ein kausaler sein, er könnte sich ja als paralleles Geschehen darstellen, als ,zufällige’ Übereinstimmung.

Soweit ist auch alles in Ordnung und legitim. Auch kann man es durchgehen lassen, wenn einzelne Astrologen die Tierkreisbilderausdehnung auf der Ekliptik mit dreißig Grad bemessen, so groß sind sie nämlich auf einmal bei STEIN und SCHULT. Auch daß bezüglich der Lage der Tierkreisbildergrenzen Uneinigkeit herrscht, ist nicht schlimm, es zeigt eher das ernsthafte Ringen um die richtigen Zuordnungen und das Bemühen, die Diskussion in Gang zu halten. Anerkennenswert ist auch, daß SCHULT seinen Lesern Freiraum läßt, daß er durch die Blume die Möglichkeit einräumt, sich betreffs der genauen Datierung vielleicht zu irren: „Erinnern möchte ich noch einmal daran, daß der Frühlingsanfangspunkt in 150 Jahren sich nur um zwei Grad im Tierkreis verschiebt. Die Übergänge der Weltenjahre [Anm.: Zeitalter] sind als lebendige und nicht nur rechnerische Einheiten sebstverständlich fließend.“ 12 Zählt man diese 150 Jahre zu 1950 hinzu, so gibt es zwischen SCHULTS und STEINS Datierung des Beginns des Wassermannzeitalters nur noch eine Differenz von ca. 50 Jahren, bezogen auf die Präzession ist das weniger als ein Grad.

Das Problem ist nicht in der Art der astronomischen Einteilung zu sehen, auch nicht in der Deutung der historischen Vorgänge, die astrologischer Symbolik angepaßt wird, z.B. wird die christlich-abendländische Epoche als Fischezeitalter betrachtet, in der sich besonders viele Fische-typische Merkmale wiederfinden lassen. Das Problem ist darin zu sehen, daß die Deutung mit Sternzeichensymbolik mit Ereignissen in den entsprechend gleichnamigen Tierkreisbildern begründet wird - und das zeugt von einer Dummheit, die nicht von alleine kommen kann, die muß man sich erarbeiten. Also: Weil sich der Frühlingspunkt im Tierkreisbild Fische befindet, wird die entsprechende Epoche so gedeutet, als befände er sich im Sternzeichen Fische, wo er allerdings nie hingelangen kann, denn er definiert immer den Beginn des Sternzeichens Widder.13

Noch dümmer - und das kommt dann wohl wieder von alleine - ist es allerdings, wenn diese Ungereimtheit, derer sich die Vertreter einer astrologischen Zeitalterlehre befleißigen, erkannt und kritisiert wird, und im Rahmen dieser Kritik derselbe Fehler gemacht wird:

Der Ursprung des astrologischen Tierkreises liegt weiter zurück als der Erscheinungstermin des für die heutige Astrologie maßgeblichen Werkes Tetrabiblos von PTOLEMÄUS (87-165 n. Chr.), dem das Phänomen der Präzession bekannt war, denn 250 Jahre zuvor hatte HIPPARCH diesen schon den Babyloniern bekannten Vorgang berechnet. PTOLEMÄUS übernahm lediglich die damals übliche Namensgebung, die sich bis heute erhalten hat. Der Ursprung des Tierkreises ist auf etwa 2000 Jahre vorher zu datieren. All dies hätte WIECHOCZEK dem Astrologiegegner JÜRGEN HAMEL 15 , den er an anderer Stelle zitiert, entnehmen können, wenn er ihn aufmerksam gelesen hätte. Der Witz ist ja der, daß eben nicht die Sternpunkte typisiert werden, sondern Abschnitte des astrologischen Tierkreises, zumal es sich oben schwerlich um eine ,Gedankenkette’ handelt.

Einen beachtenswerten - und auch berechtigten - Einwand gegen die Zeitalterlehre bringt WIECHOCZEK allerdings doch: „Ist den Sterndeutern nicht bewußt, daß zu allen hier zitierten Kulturen gleichzeitig weitere Kulturen - und keineswegs geringere - in anderen Erdteilen existierten und existieren?“ 16 Wäre ich ein Verfechter der Zeitalterlehre, dann würde ich entweder diese Kulturen in mein Schema einbeziehen und Merkmale suchen - und finden - die eine Globalisierung erlauben, oder ich würde die Deutungsvoraussetzungen den regionalen Gegebenheiten anpassen, so daß sich die Deutungsinhalte den jeweiligen Voraussetzungen entsprechend ändern. Kurz: die anderen Kulturen würden unter die gleiche Symbolik fallen. In der Tat, beschäftigt man sich mit der Literatur zur Zeitalterlehre, dann gewinnt man den Eindruck, als sei alles möglich. Damit ist allerdings noch nicht ausgeschlossen, daß es tatsächlich eine Symbolik gibt, die der historischen Entwicklung entspricht. Aufschlußreich ist in diesem Zusammenhang eine Passage aus den Lehr- und Übungsbüchern des Astrologen WOLFGANG DÖBEREINER: 17

Demnach befinden wir uns nicht im Wassermannzeitalter, wenn überhaupt, dann in einem anderen, was aber nicht mit der Position des Frühlingspunktes zu begründen wäre. Interessant ist dabei, daß die Auffasung, in einer Wassermann-Epoche zu sein, nicht mit Hinweis auf die astronomische Diskrepanz zurückgewiesen wird, sondern daß astrologisch-inhaltliche Gründe genannt werden - so geht es also auch.

Um die astronomische Diskrepanz noch einmal in einer anderen Formulierung zu veranschaulichen, möchte ich gegen Ende des Abschnitts auf GÜNTER PÖSSIGER hinweisen, der mit JOACHIM HERRMANN darüber verblüfft ist, daß der Charakter der Zeitabschnitte plötzlich von den Tierkreisbildern abgeleitet wird, während in der auf Menschen bezogenen Horoskopdeutung der Charakter von den Sternzeichen herrührt. 18

Es gibt aber auch astrologische Schulen (MARIA u. MATHIAS THUN), die als Deutungsgrundlage den Fixsterntierkreis (Tierkreisbilder) verwenden. Dabei versteht sich von selbst, daß andere Deutungsinhalte zugrundegelegt werden müssen. Vertreter einer solchen Schule können durchaus aus der Lage des Frühlingspunktes Schlüße ziehen und von einem Wassermann- oder Fische-Zeitalter sprechen. Damit werden sie aber sicherlich etwas ganz anderes meinen, als Vertreter der klassischen Astrologie. 19

Sternbilder oder Sternzeichen?

Welche Schwierigkeiten die Präzession der Astrologie und ihren Gegnern zu bereiten imstande ist, wurde bisher lediglich angedeutet. Will man die Problematik wirklich umfassend erörtern, ist eine Auseinandersetzung mit dem ersten Kapitel von Uranus lächelt über Hiroshima 20 notwendig. Dort kommt so ziemlich alles vor, was sich in diesem Zusammenhang erdenken läßt. Bisweilen werde ich mich wiederholen, weil ich hoffe, daß dadurch das Verständnis für die Zusammenhänge erleichtert wird.

Zunächst führt REINHARD WIECHOCZEK in die Materie ein, indem er die Ekliptik, den Frühlingspunkt und die Präzession erklärt. Der Frühlingspunkt befinde sich aber nicht im Widder, sondern im ,Grenzgebiet’ 21 von Fische zu Wassermann. „Die Astrologen vernachlässigen zunächst einmal die Präzessionsbewegung und sehen nach wie vor, daß die Sonne vom 21. 2 [sic!, sic!] bis 20. 4. im Widder steht, obwohl sie tatsächlich den Widder erst vom 19. 4. bis zum 13. 5. durchläuft“ (S. 8).

Auch wenn es zunächst so aussieht (und wohl auch so gedacht war), als sei dies ein Einwand gegen die Astrologie, ist es wohl eher eine Erklärung, nämlich daß der astronomische Frühlingsanfang (Nordhalbkugel) den astrologischen Widder definiert. In diesem Sinne ist die Erklärung etwas unvollständig, denn WIECHOCZEK vergißt hinzuzufügen, daß seine Angabe, die Sonne befinde sich vom 19. 4. - 13. 5. im Widder, infolge der Präzession nur für den begrenzten Zeitraum von 70 Jahren Gültigkeit hat. Es sind also nicht die Astrologen, sondern es ist REINHARD WIECHOCZEK, der die Präzession ,vernachlässigt’ (vgl. dazu auch den Hinweis oben, bei den von WIECHOCZEK abgebildeten Sternkarten fehle die Angabe des Äquinoktiums).

Man müsse streng zwischen Tierkreisbildern und Sternzeichen unterscheiden, erklärt WIECHOCZEK, aber die Astrologen würden in Wahrheit gar keine Zeichen und Bilder mehr ,erkennen’, sondern von ,Energie- und Symbolfeldern am Himmel’ sprechen. Wie, um diese Aussage belegen zu wollen, wird der Astrologe GENUIT zitiert. In dem Zitat ist aber von ,Energie- und Symbolfeldern’ überhaupt nicht die Rede, GENUIT setzt die zwölf Tierkreisabschnitte zu etwas in ,Entsprechung’ 22 . Der Weg von ,Entsprechungen’ zu ,Energie- und Symbolfeldern’ ist gewiß interessant, WIECHOCZEK ging ihn aber allein und läßt seine Leser an begrifflichen Klippen und Hürden scheitern.

Die Feststellung des Kritikers, daß Sternzeichen sich nicht beweisen lassen, wurde schon oben erörtert - es wurde ergänzt, daß sich die Sternbilder - oder auch nur die Tierkreisbilder - auch nicht beweisen lassen. Doch nun geschieht Merkwürdiges:

Man sieht es nicht immer auf den ersten Blick, aber meinte er nicht vielleicht die Bilder des Tierkreises? Der Einwand macht ja keinen Sinn, wenn plötzlich von Sternzeichen zu Fixsternen 24 gewechselt wird.

Aus dem vorhergehenden Text läßt sich auch nicht erschließen, wie WIECHOCZEK plötzlich auf ,Einfluß’ kommt, denn bisher war lediglich von ,Energie- und Symbolfeldern’ die Rede, wo es sich - nach GENUIT - lediglich um ,Entsprechungen’ handelte. Dies nur am Rande. Mir ist es zwischendurch auch passiert, sogar beim Abschreiben von Zitaten (!), daß aus Bildern Zeichen wurden - und umgekehrt. Ich möchte nun versuchen zu ergründen, was in WIECHOCZEK vorging, als er seinen Einwand formulierte.

Gewiß ist, daß er nicht meinte, ,warum nur die Zeichen des Tierkreises (Sternzeichen), und nicht auch die Zeichen entlang des Äquators oder andere gedeutet werden’, weil es nämlich keine Sternzeichen entlang des Äquators oder Zirkumpolarzeichen gibt. Er spricht ja auch ausdrücklich von Sternen und erwähnt namentlich Alpha Centauri.

Hat er vielleicht gemeint: ,Warum werden nur die Sterne des Tierkreises (Tierkreisbilder) gedeutet und nicht auch andere? Diese Frage ist sinnvoll, wenn man sie aus dem Zusammenhang löst. Der Zusammenhang gestaltet sich aber so, daß WIECHOCZEK mehrmals betont, die Astrologen nähmen keinen Bezug zum Fixsternhimmel, für sie würden ,Energie- und Symbolfelder gelten’. Man muß seine Fragestellung deswegen im zuvor gegebenen und unmittelbar nachfolgenden Zusammenhang sehen, weil er ja einen Einwand bringen wollte.

Sollte daher der Einwand nicht besser so aussehen: ,Warum werden die Sternzeichen gedeutet und nicht die Sternbilder oder Sterne längs der Ekliptik (Tierkreisbilder)? Man sollte doch eigentlich diese deuten. Wenn man aber diese deutet, dann ist es unlogisch, nicht auch die Sterne längs des Äquators, oder die Zirkumpolarsterne, oder Alpha Centauri, den nächstgelegenen Fixstern, zu deuten.’

Dies scheint die Lösung zu sein. Die Frage, warum man Zeichen deutet und nicht Bilder, ist, wie oben schon angemerkt, berechtigt. Dennoch hat die Geschichte einen Haken, nämlich im zweiten Teil des Einwandes: Warum sollte man die Sterne oder Sternbilder deuten? Es wird nicht explizit erklärt, warum es unberechtigt ist, die Sternzeichen zu deuten. Das ließe sich noch aus dem Wort ,Einfluß’ implizieren. Deutlich wird das, wenn man den Einwand folgendermaßen formuliert (und damit WIECHOCZEKS Syntax entspricht): ,Warum sollen die Sternzeichen das menschliche Schicksal beeinflussen und nicht die Tierkreisbilder, bzw. die Sterne der Tierkreisbilder? Naheliegender ist doch, daß diese einen Einfluß ausüben, schließlich handelt es sich hierbei um physikalische Objekte. Wenn aber diese einen Einfluß ausüben, dann aber doch die anderen Sterne auch, grade der uns am nächsten liegende Alpha Centauri’.

So ließe sich der Einwand nachvollziehen, wenn nicht der Punkt wäre, daß vorher von Einfluß überhaupt nicht die Rede ist. Selbst wenn dem so gewesen wäre, bleibt noch die Frage, warum die Sterne plötzlich einen Einfluß ausüben können, wo dieser doch bisher auf physikalischem Wege nicht nachgewiesen werden konnte, wie WIECHOCZEK mehrmals betont (ebenda, S. 94, S. 103 u.a.). Warum sollte es dann naheliegender sein, daß die Sterne einen Einfluß ausüben? Der Einwand ist also nur deswegen einer, weil am Anfang steht: ,es läßt sich einwenden...’. Was WIECHOCZEK wirklich sagen wollte, bleibt mir verborgen.

Angenommen, der ,Einwand’ fragt lediglich, warum die Tierkreisbilder (oder auch Sternzeichen, das macht hier ausnahmsweise keinen Unterschied! 25 ), die längs der Ekliptik angeordnet sind, und nicht alle Sternbilder gedeutet werden. Dann handelt es sich um eine neutrale Fragestellung. Für WIECHOCZEK ist es aber eindeutig ein Einwand, wie sein nächster Absatz zeigt:

Hier passiert es schon wieder, der siderische Tierkreis (Tierkreisbilder) und der tropische (Sternzeichen) werden bunt durcheinandergewürfelt. 26 Vermutlich meinte er aber hier tatsächlich die Tierkreisbilder. Für diese spricht ihre Anordnung längs der Ekliptik, für die anderen der aufgezählten Sternbilder (man achte auf das ,etc.’) ihre Dominanz. Worin liegen die Kriterien für die Dominanz? Ist die Dominanz einiger Sternbilder (dann aber doch gegenüber anderen Sternbildern) ein überzeugenderer Grund als der, daß die Planeten immer in der Nähe der Ekliptik zu finden sind? Wenn man will, ist beides einleuchtend...

So wie WIECHOCZEK die Frage behandelt, scheint er zu wollen, das Sterne oder Sternbilder gedeutet werden, es sieht so aus, als erscheine ihm solches plausibler. Eine solche Interpretation seiner Ausführungen ist zumindest naheliegender als eine solche, die ihm eine Favorisierung der Sternzeichen unterstellt. Im weiteren Verlauf seiner Ausführungen zitiert er auch Astrologen, die sich mit dem gleichen Thema auseinandergesetzt haben und erklären, daß durchaus manche Fixsterne in Horoskopen Bedeutung haben. Auch in diesen Zitaten ist von ,Einfluß’ nie die Rede, lediglich eine zitierte Äußerung des Astrologen GADOW 27 , der Fixstern Algol habe eine „teuflische Wirkung“, darf man in diese Richtung interpretieren. Allerdings muß man auch berücksichtigen, daß in der astrologischen Literatur oft von ,Wirkung’ gesprochen wird, ohne physikalischen ,Einfluß’ zu meinen. Wesentlich ist aber hier, daß es auch astrologische Schulen gibt, die Fixsternpositionen im Horoskop berücksichtigen.

Damit sei soweit alles gut, sollte man nun meinen. Die Sternzeichen spielen eine gleichwertige Rolle wie die Fixsterne. Die zuvor gegebene Fragestellung, ob Sternzeichen oder Sternbilder zu deuten seien, wurde von manchen Astrologen so gelöst, daß beides berücksichtigt wird. Welche Argumente könnte man gegen eine solche Astrologie vorbringen? Ist die Präzession eines, nämlich daß die Fixsterne im Laufe der Jahrhunderte in einem auf Sternzeichen gründenden Horoskop ihre Position verändern, Algol also nicht wie gegenwärtig im Stier, sondern früher in den Zwillingen war und demnächst im Widder sein wird? Nein, die Planeten verändern ihre Lage ja auch. Man könnte doch an die ,Fixsternastrologen’ die Frage stellen, warum nur manche Fixsterne Bedeutung haben und nicht alle? 28 WIECHOCZEK macht es aber ganz anders:

Der Mann ist Leiter der Volksternwarte Paderborn e.V., wir können ihm hier nichts zugute halten. Wie Ironie mögen nun die Worte aus seiner Einleitung wirken: „..., dem astronomisch vorgebildeten Leser offeriere ich eine umfangreiche Argumentationsgrundlage“ (S. 5). Ja, danke, ich nehme das Angebot an und erlaube mir, vorher korrekt zu formulieren:

Bleibt zu erwähnen, daß Algol gegenwärtig nicht in unmittelbare Nähe desjenigen Himmelsabschnittes, an dem der Ekliptikabschnitt des Sternzeichens Stier liegt, zu finden ist - er wäre nämlich dann ein Stern des Sternbildes Zwilling, Stier oder Widder. Er ist ein Stern des Sternbildes Perseus, um genau zu sein: der Beta-Stern. Er hat die Äquatorkoordinaten (1971) von 3h 6,3min Rektaszension und 40,84° Deklination (Angaben nach: Schülkes Tafeln - Funktionswerte, Zahlenwerte, Formeln; Bearb. H. Heise, 51. Aufl., Stuttgart, 1971). Somit entspricht sein Abstand zum Himmelsäquator etwa 80 Vollmonddurchmessern. Zieht man eine Linie durch den Himmelsnordpol und Algol und verlängert sie bis zur Ekliptik, so berührt sie diese auf einer Länge von 48°, also dem 18. Grad des Sternzeichens Stier. Man erhält die ekliptikalen Koordinaten von Algol, indem man die Verbindungslinie nördlicher Pol der Ekliptik - Algol zum südlichen Pol der Ekliptik verlängert. Diese Linie schneidet die Ekliptik in 26° Stier (56° ekliptikaler Länge). Die ekliptikale Breite beträgt rund 23°, sein kürzester Abstand zur Ekliptik entspricht also etwa 46 Vollmonddurchmessern.

Das sind mindestens zehn Fehler (logische, inhaltliche, astronomische) in zwei Sätzen, man könnte dem Guinness-Buch eine weitere Erbärmlichkeit hinzufügen. Manches davon muß genauer betrachtet werden. Kann man hinsichtlich der Verwechslung von Sternzeichen und Tierkreisbildern noch Milde walten lassen, da dies ein durchweg gängiger Fehler ist, so ist für einen Astronomen die Verwechslung von äquatorialen und ekliptikalen Koordinaten eine beachtliche Leistung. Ein Schüler würde, wenn er sonst alles richtig hat, immer noch eine drei kriegen (habe mich erkundigt). Was meint nun aber die Einleitung ,bleibt zu erwähnen’? Läßt sich aus nachfolgenden Ausführungen eine Kritik daran ableiten, daß so weit von der Ekliptik entfernte Objekte wie Algol in die Horoskopdeutung einbezogen werden? Sollen also Fixsternpositionen außerhalb der Ekliptik doch nicht berücksichtigt werden? Ist es doch naheliegender, nur die Positionen von in der Nähe der Ekliptik befindlichen Positionen zu verwenden? Wie verhält es sich dann aber mit den Fixsternen der Tierkreisbilder, die ja zum Teil auch schon verhältnismäßig weit entfernt sind? Befinden wir uns nicht schon längst in einem circulus vitiosus? Gibt es daraus einen Ausweg? Sehen wir uns ungeschnitten an, wie WIECHOCZEK versucht, die Kurve zu kriegen.

Also zusätzlich zur Ekliptik auch noch der Äquator der Milchstraße... Tatsächlich gibt es Astrologen, die das Zentrum der Milchstraße in der Deutung berücksichtigen. Von da ist es bis zum Äquator nicht mehr weit. Kopfzerbrechen bereitet mir die Vokabel ,jedoch’. Wenn vorhergehender Abschnitt wirklich eine Kritik an der Verwendung von ekliptikal entfernten Objekten in der Deutung sein sollte, dann ist GENUITS Statement eine Richtigstellung zugunsten der Astrologie und die Vokabel ,ja auch’ wäre besser platziert. Ist WIECHOCZEKS Erwähnung aber keine Kritik, dann stellt sich die Frage, was sie in dem Zusammenhang zu suchen hat. Ich fasse kurz zusammen: Dominante Sternbilder wie Orion etc. sollten eigentlich gedeutet werden. Aber sie sind von der Ekliptik weit entfernt. Jedoch die Ekliptik bleibt Bezugsebene der Astrologie. Hier läßt sich sehen, daß der mittlere Satz für die Katz’ ist - und dann wird plötzlich der Äquator der Milchstraße aus dem Hut gezaubert. Völlig unklar bleibt, ob denn nun die Fixsternpositionen gedeutet werden sollen oder nicht. Ich mache zunächst weiter, ohne aus den Augen zu verlieren, daß manches noch offen ist.

Ist dies ein Einwand gegen die Verwendung von Fixsternpositionen in der Astrologie? Eher doch einer gegen die Verwendung von Sternbildern, also so dominanten wie dem Orion etc. Was soll man sonst daraus schließen? Es ist aber ganz gewiß kein Einwand gegen die Verwendung von Sternzeichen (tropischer Tierkreis). Oder? Doch, es ist einer. Der nächste Satz beweist es:

Die letzten vier Zitate sind ungekürzt, jedes reiht sich im Text direkt an das nächste. Jeder - und auch dieser - Versuch, alles in ein stimmiges Argumentationssystem gegen die Astrologie zu bringen, muß scheitern. Andererseits wird es dadurch beinahe ebenso unmöglich, Anhaltspunkte zugunsten der Astrologie anzubringen. Man kann lediglich sagen: mit so etwas ist die Astrologie auf jeden Fall noch in keiner Weise in irgendeiner Bedrängnis, erlauben wir ihr also, so weiterzumachen wie bisher. Der hermeneutischen Gerechtigkeit halber aber muß ich auch noch den nächsten Satz zitieren, der zumindest ein wenig entschädigt.

Dem muß man entnehmen, daß es unzulässig und unlogisch ist, die beiden Tierkreise auf einmal zu verwenden. Damit ist zwar noch immer nicht Stellung bezogen, ob in einer den tropischen Tierkreis verwendenden Astrolgie Fixsternpositionen herangezogen werden können oder nicht, aber es zeigt zumindest, daß WIECHOCZEK in der Lage ist, Widersprüche zu erkennen (wenn es ihm nicht jemand verraten haben sollte).


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© Nils Chr. Hesberg 1998

E-Mail: nchesberg@t-online.de

Stand: 21. Februar 1998


Fußnoten zu: Die Präzession und das Wassermannzeitalter II

1) REINHARD WIECHOCZEK; Uranus lächelt über Hiroshima - die horoskopierte Gesellschaft; Hrsg. Arbeitsgemeinschaft für Religions- und Weltanschauungsfragen, München, 1992, S. 182. ->

2) PETER NIEHENKE; Kritische Astrologie - Zur erkenntnistheoretischen und empirisch psychologischen Überprüfung ihres Anspruchs; Diss., Freiburg i. Br., 1987, S. 35. ->

3) Vgl. auch ersten Teil dieses Kapitels. ARTHUR SCHULT; Astrosophie als kosmische Signaturenlehre des Menschenbildes - Umfassende Tiefenschau und Lehre der klassischen Astrologie; 3. Aufl., Bietigheim/Württ., 1982, Bd. 2, S. 669. ->

4) BODO STEIN; "Tierkreisgrad und Zeitalter als Deutungsfaktor"; Meridian - Fachzeitschrift für alle Gebiete der Astrologie 3/87, S. 20-24. ->

5) Ebenda, S. 11. ->

6) Ebenda, S. 8 f. ->

7) Ebenda, S. 9. ->

8) Ebenda, S. 182. ->

9) Das gilt nicht nur für die Tierkreisbilder, sondern für alle benannten Sternbilder. ->

10) Vgl.: ROBERT H. BAKER u. LAURENCE W. FREDERICK; Astronomy; New York, 1930/1970, S. 18, oder Technik und exakte Naturwissenschaften; Lexikon; Lizenzausgabe, Frankfurt/M., 1972. KLAUS HEMPE und JÜRGEN MOLT geben sogar 1930 als Jahreszahl an (Sterne im Computer - Berechnungsprogramme für den Hobby-Astronomen, Köln, 1986, S. 67). ->

11) Mit gutem Willen wären für letztere aber erst maximal 1500 Jahre zu zählen. ->

12) Ebenda, S. 616. ->

13) Nicht alle Astrologen machen diesen Quatsch mit, SIGRID STRAUß-KLOEBE z.B. widmet dem Thema ein Kapitel und spricht sich gegen die Zeitalterlehre aus, vgl.: Das kosmopsychische Phänomen - Geburtkontellation und Psychodynamik; Freiburg i. Br., 1977. ->

14) WIECHOCZEK, ebenda, S. 12. ->

15) JÜRGEN HAMEL; Astrologie - Tochter der Astronomie?; Lizenzausgabe, Rastatt, S. 13-39. ->

16) Ebenda, S. 12. ->

17) WOLFGANG DÖBEREINER; Astrologisches Lehr- und Übungsbuch - Astrologischer Lehr- und Übungskurs nach protokolarischen Aufzeichnungen eines Abendkurses, basierend auf dem System der Münchner Rhytmenlehre; München, Bd. 2, S. 40. ->

18) JOACHIM HERRMANN; Das falsche Weltbild - Astronomie und Aberglaube; München, in GÜNTER PÖSSIGER; Taschenbuch der Astrologie - Zur Theorie und Praxis astrologischer Voraussagen und Berechnungen; München, 1977, S. 39 f. ->

19) Mit ,klassischer Astrologie’ meine ich die astrologische Richtung - in allen Spielarten - für die der tropische Tierkreis (Sternzeichen) Deutungsgrundlage ist. ->

20) Ebenda, S. 6-13. ->

21) Vgl. oben, dort sind es noch sechshundert Jahre bis zum Wassermann, i.e. 9° oder nahezu ein Viertel des Tierkreisbildes Fische, die Verständnisbereitschaft für den Begriff ,Grenzgebiet’ wird hier doch arg strapaziert. ->

22) H. GENUIT; „Horoskope sagen die Wahrheit“; HÖR ZU Nr. 47/82; zit. in: WIECHOCZEK S. 9. ->

23) Für die Grammatik des Deutschlehrers kann ich nichts. Alle weiteren Zitate sind bis auf jene mit Quellenangabe besagtem Kapitel entnommen (siehe Fußnote 20). ->

24) Wenn man jetzt hier ergänzt ,die Fixsterne der Tierkreisbilder’, dann gerät man in einen wunderbaren logischen Zirkel. Es handelt sich dabei um einen, den man auch mittels Meta-Logik nicht verlassen kann. Der Witz ist der, daß die Bilder des Tierkreises naturgemäß aus den Fixsternen der Bilder des Tierkreises zusammengesetzt werden. ->

25) Vielleicht macht es doch einen Unterschied, vielleicht müßte korrekterweise ,Sternzeichen' eingesetzt werden. Das ist mir aber augenblicklich zu kompliziert. ->

26) Auf Seite 12 bezichtigt WIECHOCZEK LÖHLEIN desselben Vergehens.Er zitiert LÖHLEINS Beschreibung der Präzession [Handbuch der Astrologie], in der ausschließlich von Tierkreisbildern die Rede ist, macht drei Auslassungspunkte und zitiert dann einen Satz, in dem vom "Zeiger der Weltenuhr" im Sternzeichen Wassermann die Rede ist. Er merkt an, daß es Sternbild [Tierkreisbild] Wassermann heißen müsse. Hinter den drei Auslassungspunkten verbirgt sich eine ganze Seite Text in ein neues Kapitel hinein, in dem die Zeitalterzuordnungen astrologisch begründet werden, wo auf den astronomischen Vorgang keinerlei Bezug mehr genommen wird (die "Weltuhr" ist eine historische, keine astronomische Dimension). Berücksichtigt man das, dann ist Löhleins Formulierung nicht nur zulässig, sondern sogar korrekt, das einzige, was man ihm vielleicht vorwerfen könnte, ist eine gewissen Nahtlosigkeit des Übergangs von der astronomischen Darstellung zu astrologischen Überlegungen, die dazu verleiten kann, einen Widerspruch zu sehen. In der Tat gelingt es LÖHLEIN aber doch noch, WIECHOCZEK zu rehabilitieren: Drei Seiten weiter spricht er vom Vorrücken des Frühlingspunktes in das Sternzeichen des Wassermanns. [Ich zitiere Löhlein nach der Lizenzausgabe (Goldmann) von 1976 S. 570 ff., WIECHOCZEK verwendet eine Ausgabe von 1968, seiner Angabe nach bei Lichtenberg erschienen, die Originalausgabe erschien im Kindler Verlag unter dem Titel: Löhleins Handbuch der Astrologie. Alle genannten Ausgaben erschienen in München].->

27) G. GADOW; Die Feen an der Wiege. Bestimmen Gestirne unser Leben?; Fischer, Frankfurt, 1979; zit. in WIECHOCZEK. ->

28) Die Astrologen könnten sich mit dem Hinweis rechtfertigen, angesichts der Fülle der mittlerweile bekannten Fixsterne müsse man eine vernünftige Auswahl treffen. ->